Zu „Die Macht der Gewohnheit“
„Es ist gar nicht so einfach, ein solches Stück zu schreiben. Nur wenige haben sich daran versucht, unter anderem eben Thomas Bernhard. Aber auch einem so gründlichen Arbeiter gelingt bei weitem nicht alles und vollständig, was er sich vornimmt, zumal er den ganzen Text aus dem Gedächtnis aufschreiben musste.“ JF
Niemand von uns Autoren möchte wirklich einen solchen Text schreiben. Auch Thomas Bernhard nicht.
Aber im Unterschied zu uns anderen hatte er keine Wahl, er musste ihn schreiben.
Das hatte verschiedene Gründe, die ich hier nicht ausführen will.
Wir hatten die Lesung in der Reihe „Ungeschriebene Texte des Welttheaters“ an der Akademie zum Stück „Die Macht der Gewohnheit“ nur ein einziges Mal gehört und das war schon Monate her und da sich bisher niemand finden konnte, der ihn aufgegriffen hätte, bekam Herr Bernhard von der Akademie ein Schreiben, in welchem er darum gebeten wurde, diesen Text nun für das Theater aufzuarbeiten.
Das war in so fern kurios, weil Bernhard nun wirklich kein besonderes Talent für das Theater mitbrachte.
Aber man versprach ihm, dass die öffentliche Meinung darüber ein ganz anderes Urteil abgeben würde, hätte sie erst mal ein paar Proben seiner Arbeit in Händen. Zu diesem Zeitpunkt war Bernhard noch klein, verpickelt und eher bescheiden und zurückhaltend. Nie im Leben hätte er es für möglich gehalten, dass gerade er diesen schwierigen Auftrag bekäme. Da waren noch ganz andere vor ihm dran und auch schon als Könner auf ihrem Gebiet ausgewiesen. Aber, da sich von eben Jenen, niemand nach der Vorlesung meldete, um seine Ansprüche an dem Werk anzumelden, musste sich der Akademierat etwas einfallen lassen, um „Die Macht der Gewohnheit“ nicht ungeschrieben beerdigen zu müssen. Bernhard erwiderte schriftlich, es sei ganz und gar nicht sein Metier und er kriege überhaupt nur noch ein paar Fetzen zusammen, das Stück hätte ja gar keine Handlung, wäre nicht dramatisch und überhaupt, fände er es völlig absurd.
Das sei nun aber alles gar kein Problem, im Gegenteil, man wünschte sich sogar, dass er sich ein paar Freiheiten nähme und es wäre dem Stück eher zuträglich, wenn er die Gedächtnislücken mit ein paar eigenen Gedanken schliessen würde. Da dem nichts mehr entgegenzusetzen war, begann Thomas Bernhard am nächsten Tag mit der Arbeit und wir alle bedauerten ihn unendlich.
Wie wir ja inzwischen wissen, hatte er es 1974 endlich mehr recht als schlecht vollendet. Mit vielen Wiederholungen, lang gedehnten Monologen, ein paar eigenen Gedanken, die sich nicht so recht einfügen wollten und der Verschiebung von Ort und Zeit aus dem russischen ins deutsche. Was dazu führte, dass das Stück eigentlich zwei Stunden zu früh spielt und der Zirkus noch gar nicht aufgebaut ist. Andererseits ist es schon vorbei, wenn der Zuschauer das Theater betritt. Alles in allem grosse Unwägbarkeiten für die österreichischen Theatergepflogenheiten, so dass es Thomas Bernhard sofort den Ruf des radikalen Zerstörers einbrachte und das wiederum machte ihn schlagartig berühmt.
Inzwischen dürfen wir es getrost als das Vorzeigestück für „die Absurdität des Theaters“ und „die Vergeblichkeit der Worte“ betrachten, so dass sich eine Aufführung, wie schlecht sie auch sein mag, auf alle Fälle lohnen wird.
Nachdem nun die Laufbahn von Thomas Bernhard durch den Akademieentscheid durchaus in einer für ihn vertretbaren Spur war, fand er sich nun endlich auch damit ab, dass die Vergabe der „Publikumsbeschimpfung“ an einen jungen Wilden, aus seiner Sicht eine totale Fehlentscheidung war. Seine eigenen Ansprüche auf das Stück waren unübersehbar und konnten unmöglich ignoriert worden sein. Damals verliess er aus Protest den Saal. Natürlich noch so, dass es niemand bemerkte.
Selbst über den unerhörten Vorgang, wie sich der Präsident seit Jahrzehnten die besten Stücke Fleisch unter der Hand sicherte, konnte er nun lächelnd hinwegsehen und fand auch im Übrigen, dass „Warten auf Godot“ gar kein so gutes Stück sei, wie alle Welt glauben mag.
Oh ja, er hatte seine Laufbahn begonnen. Und was er einmal begonnen hatte, das sollte zu grösster Vollendung gebracht werden.
Was war es also, was ihm dazwischen kam?
Jo Fabian/Fbr.2016
Comments